OUR WEDDING

Der Nuggibaum oder Was kann ich mir noch zumuten?

Eine Freundin von mir töpfert leidenschaftlich gerne. Sie beschrieb, wie sie sich dabei ganz in das Handwerk versenken und aufhören könne zu grübeln, und wie sie völlig erfüllt sei von ihren kreativen Impulsen. Vor Kurzem klagte sie, es sei ihr nicht mehr möglich, alle Glasuren selbst herzustellen und ihre Kreationen im eigenen Ofen zu brennen, weil ihre Kraft einfach nicht mehr ausreiche. Ob sie sich von ihrem Hobby trennen sollte?

Es war klar, dass sie nicht das Töpfern aufgeben, sondern von der Vorstellung Abschied nehmen muss, jeden Arbeitsgang selber auszuführen. Das fiel ihr sehr schwer. Doch es tauchten allmählich Ideen auf, wie sie zum Beispiel das Angebot einer Kollegin annehmen könnte, ihr Glasuren abzugeben oder das einer andern, deren Brennofen zu benutzen.

Es ist natürlich einfacher, eine Tätigkeit aufzugeben, die einen nicht mehr interessiert, als auf etwas zu verzichten, das man einfach nicht mehr schafft.

Die Frage ist dann: Worauf müssen wir verzichten? Eventuell auf unsere Vorstellungen von Omnipotenz, immerwährender Tatkraft und nie erlahmender Energie?

Vielleicht müssen wir uns einrichten in einem Feld von kleiner gewordener Spannkraft. Vielleicht müssen wir uns auf die Gebiete beschränken, die uns wirklich wichtig sind und weniger Wichtiges weglassen.

Das heisst natürlich, uns auf Veränderungen einlassen, auch auf Veränderung der Vorstellungen von uns selbst und dem, was wir im Alter können, ohne uns zu überfordern.

Das heisst auch Abschiednehmen von Gewohntem, Liebgewordenem, unseren Nuggis.

Warum nicht mit einem Ritual, das den Abschied feiert und ihm Würde verleiht?

Freunde von mir hatten einen stattlichen Kastanienbaum im Garten. Er wurde aber krank und siechte dahin. Sie beschlossen, ihn zu fällen. Vorher jedoch schmückten sie ihn mit Girlanden und farbigen Schleifen. Damit nahmen sie Abschied von ihm, bevor ein kräftiger Nadelbaum an seine Stelle kam. 

Es gibt kleine und grosse Abschiede. Sie wollen alle gewürdigt werden, sei es mit dem Zulassen von Gefühlen wie Trauer und Bedauern, die damit verbunden sind, oder mit einem Fest, einem Ritual mit Freunden.

In dem Buch «Dienstags bei Morrie» wird die Freundschaft zwischen einem alten Professor und seinem ehemaligen Studenten beschrieben. Der alte Mann ist an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose, eine unheilbare Krankheit) erkrankt und weiss, dass sein Leben zu Ende geht. Der ehemalige Student möchte seinen Professor trösten, wird aber zu seinem Erstaunen selber von dessen Lebensweisheiten getröstet.

Unter anderem veranstaltet der Professor vor seinem Tod ein Fest für seine Freunde, von denen er bei Lebzeiten Abschied nehmen wollte.

Lasst uns deshalb fröhlich Abschied nehmen vom alten Jahr und zuversichtlich ins neue gehen!

Literatur: Mich Album «Dienstags bei Morrie», Verena Kast «Abschiedlich leben», Hermann Hesse «Stufengedicht».