Gibt es etwas, was ich bereue?

Heute ist mir etwas in dieser Richtung begegnet. Ich musste zur Kontrolle in die Augenklinik gehen. Sie wissen, wie das ist: Man sitzt und wartet, mustert verstohlen die Mit-Sitzenden und überlegt, wie lange es wohl dauert, bis sie dran gewesen sind. Wenn sie wieder rauskommen und sich hinsetzen, weiss man, dass sie nochmals reingehen werden, und das Ganze sich verzögert.

Dem Mann mit dem dicken Augenverband lässt man noch gerne den Vortritt, aber die schwarz gekleidete Blonde mit ihrem geschniegelten Ehemann soll gefälligst Gas geben und nicht so zimperlich tun.

Schliesslich landet man bei der Frage, wie besänftige ich meine Ungeduld? Eine nervende Aufgabe. Gerade, wie ich einen kreativen Einfall habe und anfange, mir Notizen zu machen, werde ich aufgerufen. Ausgerechnet!

Der junge, schwarzbärtige Arzt begrüsst mich mit einer desinteressierten Höflichkeit, guckt durch den Apparat in mein Auge und sagt mit einer Draussen-ist-Regenwetter-Stimme: Alles gut.

Da habe ich den dringenden Impuls, ihn zu fragen: Sagen Sie, werden Sie von jemandem geliebt? Ich habe die Frage nicht gestellt und habe es auch nicht bereut, sie unterdrückt zu haben. Ich hätte ja hinzufügen müssen: «Jetzt halten Sie mich wohl für eine verrückte Alte» und «Sie brauchen mir keine Antwort zu geben.»

Ich meine aber diese Art von plötzlichen Einfällen, die wir sofort unterdrücken, weil unsere Gutes-Benehmen-Instanz sie blitzgeschwind als ungehörig oder zudringlich oder auch nur als unpassend etikettiert. Es lohnt sich aber, den Impuls trotz des Einspruchs zu untersuchen. Ist alles Ungewöhnliche unpassend oder sind wir einfach zu scheu, jemandem, den wir nicht kennen, etwas Nettes zu sagen? Ich habe meinen Einfall nicht plaziert, aber ich ging beschwingt hinaus mit der Vorstellung an das verblüffte Gesicht des jungen Mediziners, wenn ich ihn das gefragt hätte.

Es gibt natürlich schwerwiegendere Dinge, die wir bereuen. Siehe dazu das Kapitel «Sich sein Leben zu eigen machen» in meinem Buch «Wenn ich einst alt bin, trage ich Mohnrot.» (Verlag Kösel, ISBN 3-466-30636-1)